Der Mann, der mit Ludwig II. starb

Der Mann, der mit Ludwig II. starb
Alfons Schweiggert
Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum, 2014
ISBN 978-3-89876-723-1
224 Seiten, 16,95 EUR

Noch bis zum 21.06.2015 findet in Prien im Heimatmuseum am Chiemsee die Ausstellung „Psychiater und Märchenkönig – Dr. Bernhard von Gudden und Ludwig II.“ statt. Prien ist damit schon der zweite Ort, der den in Kleve am Niederrhein geborenen Psychiater mit einer Ausstellung zu Persönlichkeit und Arbeit Guddens würdigt. Zum ersten Mal wurde die von dem Schriftsteller Alfons Schweiggert betreute Ausstellung unter dem Titel „Dr. Bernhard von Gudden – der Mann, der mit Ludwig II. starb“ vom 15.05. bis 17.07.2014 in Benediktbeuern gezeigt. Das eigenständige Begleitbuch ist 2014 im Husum-Verlag erschienen.

Es gibt zweifellos Menschen, die polarisieren. Dazu gehört eindeutig der bayerische König Ludwig II. (1845-1886), der für die einen ein Träumer, ein Künstler auf dem Königsthron war. Ein ganz anderer Mensch war Bernhard Gudden, der den Lebensweg des Königs kreuzte. Für seine Kritiker hat Gudden „ein vernichtendes Urteil“ auf Grund von Aussagen „befangener medizinischer Laien“ gefällt und einen Menschen unter Druck für gänzlich unheilbar krank erklärt. Für den Arzt habe das Verlangen der bayerischen Regierung Vorrang vor der Behandlung und dem Wohl seines Patienten gehabt, so dass dieser „Verrat an seinem Beruf“ begangen habe. Für diese Kritiker ist Gudden eine „Unperson“.

Mit Zahlen von der Geburt zur Vermessung der Gehirne

In 10 Kapiteln mit einem umfangreichen Anhang beschreibt Schweiggert zunächst das Leben des Dr. Bernhard von Gudden, seine Lebensstationen von der Geburtsstadt Kleve am Niederrhein, wo er auch seine Jugend verbrachte, über Stationen des Studiums (Bonn, Halle und Berlin) bis hin zu seinen beruflichen Stationen von Siegburg über Werneck, Burghölzli und schließlich nach München.

Nach dem Lebens-Verlauf erfährt der Leser einiges über die „Psychiatrie zur Zeit Dr. Bernhard von Guddens“; vom Umgang mit Geisteskranken über die Irrenhausreform und schließlich dem recht jungen Ansatz des „No restraint“, also der Ablehnung von Zwangsmaßnahmen, der erst von seinen Zeitgenossen Ludwig Meyer und Wilhelm Griesinger in den deutschen Ländern Thema wurde. Schließlich beschreibt der Autor die „fünf Rollen des Dr. Bernhard von Gudden“ als Psychiater, Forscher, Anstaltsleiter, Lehrer und Gutachter.

Überhaupt scheint Schweiggert ein Anhänger von Zahlen zu sein, zählt er doch neben den 5 Rollen und den 10 Lebensstationen, 6 Ergebnisse der Spurensuche und 9 Theorien, wie Gudden starb, auf.

Im 19. Jahrhundert wurde ja fast alles zwanghaft gemessen, was manchmal durchaus zum Selbstzweck wurde. Jedoch wurden nur sehr wenige Zusammenhänge zwischen den Messergebnissen und der Theorie hergestellt. Nach den Befunden wurde dann deutlich, dass viele Wissenschaftler einfach nur Belege sammelten, die ihre Theorien bestätigten, ohne sie wirklich jemals zu überprüfen. Auch Gudden hat Gehirne vermessen und versucht, verschiedene Zusammenhänge zu seinen Theorien herzustellen. Zu einem Endergebnis ist er dann – in seinem letzten Fall – nicht mehr gekommen.

Der Mediziner und der König

Den Kern des Buches bilden aber die beiden Kapitel „Gudden und Ludwig“ sowie „Gudden, der umstrittene Gutachter“. Ausführlich beleuchtet Schweiggert die Beziehung der beiden zueinander, um dann die Sichtweisen der beiden aufeinander – als Gutachter und als politisch agierender König – aufzuzeigen.

Wichtig ist es dem Autor, die abenteuerlichen Gerüchte und Vorurteile gegen die historische Persönlichkeit Guddens als Mediziner abzuwägen. Gudden ist ja tatsächlich in eine Rollendiffusion geraten und wurde als Mitverantwortlicher für das entscheidende Gutachten zum Sündenbock. Ausführlich stellt er die Unterstützer und Mitverantwortlichen vor, wozu sicher auch die Gläubiger zählten.

So haben also sicher mehrere Personen und auch Umstände den Forscher in eine bestimmte Richtung innerhalb des „Räderwerks der Entmündigungsmaschinerie“ gedrängt. Dennoch ist er seinen Ansätzen treu geblieben, die auch heute noch – sicher modifiziert – in die moderne Psychiatrie einfließen. Dem Gutachten aus heutiger Sicht widmet Schweiggert die beiden letzten Kapitel. Er zeigt „Urteile über das Gutachten“ ebenso auf, wie die „diagnostischen Konzepte über Ludwig II. von 1886 bis 2014“.

Das Gutachten

Das Gutachten selbst ist im Anhang abgedruckt. Leider fehlen hier die 21 Bögen, die die eigentlichen Argumente für das Gutachten lieferten. Darunter der sehr selten veröffentlichte Bogen 16, der die Homosexualität – also die „anormalen geschlechtlichen Beziehungen“ Ludwigs – thematisierte. Der Autor führt die gleichgeschlechtliche Liebe fälschlicherweise als „nicht ausdrücklich erwähnt“ auf – es ist jedoch ausdrücklich von einer „Vorliebe für Leute ohne Bildung“ und einer „Abneigung gegen das weibliche Geschlecht“ die Rede. Der Begriff „Homosexualität“ setzte sich erst Anfang des 20. Jahrhunderts (Magnus Hirschfeld berichtet 1914 darüber) durch.

Diese Beziehungen waren eine der neun Theorien, die letztlich die Befunde zum Gutachten lieferten. Auf Seite 88 führt der Autor die Befunde in einer der sehr aufschlussreichen Tabellen an:

  • Erbliche Belastungen
  • Körperliche Krankheitserscheinungen
  • Auffällige Verhaltensweisen
  • Abnorme Gemütszustände
  • Mangel an Nationalgefühl
  • Suchtverhalten
  • Geistesschwäche und Geisteskrankheit
  • Anormale geschlechtliche Beziehungen

Es sind nicht alle Bögen des Gudden-Gutachtens im Buch enthalten, da hierzu – wie Schweiggert erläutert – „dann aber eine ausführliche Analyse erforderlich gewesen [wäre], welche Teile der Zieglerschen Aussagen Gudden in seinem Gutachten ausgewählt hat. Das aber hätte den Umfang des Buches sicher gesprengt und leicht zur Verwirrung beigetragen.“ Alle Protokolle und Bögen des Gutachtens finden sich aber unter anderem in „Kommission für bayerische Landesgeschichte: König Ludwig II. von Bayern. Krankheit, Krise und Entmachtung. Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 2011. Band 74 [Heft 2], München 2011“.

Erstmals in der Ausstellung zu sehen war die Totenmaske Guddens, die in einer Obstkiste in einer Ecke des Rosenheimer Museumsarchiv gefunden wurde. Dieser widmet Schweiggert ein ganzes Kapitel, da es „einen Blick auf sein [Guddens] Leben“ biete. Hier wird von der Entstehung der Maske, deren Weg und schließlich ihrem Fund berichtet, um schließlich noch einige „Merkmale am Leichnam Dr. Guddens“ zu schildern.

„Das Schicksal des Bayernkönigs ist viel zu eng mit jenem Dr. Guddens verbunden, als dass man seinen Blick nur auf Ludwig II. richten darf, aber den Arzt, der ihn diagnostizierte, verächtlich beiseiteschiebt. Wer dies dennoch tut, der bekundet damit, dass er sich nur halben Wahrheiten öffnen und sich mit primitiven, schnell gefassten Vorurteilen zufrieden geben will.“ antwortet Schweiggert im Vorwort seinen Kritikern und bietet all jenen, die weiteren Wahrheiten offen gegenüber stehen eine Menge Material an.

Das zeitgleich zur ersten Ausstellung erschienene Buch ist kein Katalog im herkömmlichen Sinne, dass die Exponate zeigt und erläutert. Zahlreiche Abbildungen finden sich im Mittelteil des Buches (Seiten 113-120) und erläutern den Text. Das Buch selbst ist allerdings recht schwere Kost, die aber jeder zu sich nehmen sollte, der bereit ist, sich mit dem Gutachter, dem Gutachten und den daran beteiligten Personen ernsthaft beschäftigen möchte. Zwar gibt es bereits Veröffentlichungen, die den Psychiater thematisieren (z. B. Hippius/Steinberg, 2006) – diese richten sich allerdings an ein entsprechendes Fachpublikum. Die hier vorliegende Publikation, deren Textlastigkeit nicht abschrecken sollte, beleuchtet wirklich alle Seiten zu dem umfangreichen Themenkomplex.

(c) Michael Fuchs, Berlin
Juni 2015